Was ist der Unterschied zwischen Geist und Seele?

Aus dem Taschenbuch «Das grosse Buch der Seele» (oder als gebundenes Buch «Anatomie der Seele») ab Seite 302 finden Sie hier ein paar Auszüge:

... Was „Geist“ ist, darüber wurde in der abendländischen Geistesgeschichte viel gerätselt.

Am einfachsten war es, Geist mit Seele gleichzusetzen.

Dies lag – und liegt – umso näher, als es gar nicht so leicht ist, Geist und Seele zu unterscheiden.

Naheliegend war seit jeher – und zwar aufgrund der Erfahrung der Diskrepanz zwischen der Materie und dem Immateriellen – den Geist von der Materie oder die Seele vom Körper abzuheben und Geist und Seele dem Materiellen gegenüberzustellen.

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„Geist“ bedeutete also, wie dies im Zeitalter des Rationalismus naheliegend war, „Ratio“ (lat. Rechnen, Rechnung, Berechnung), das heißt den rational (= vernünftig) denkenden Geist, auf deutsch: Verstand und Vernunft. 

Die Seele hingegen wurde (falls von ihr überhaupt die Rede war) entweder mit dem Geist – wenn nicht offen (wie bei Descartes), so stillschweigend – gleichgesetzt oder – wie dies bei rein materiell Denkenden heute noch Gepflogenheit ist – auf Funktionen des physischen Leibes, namentlich des Gehirns, reduziert.

Kein Wunder also, wenn Denker am Anfang des 20. Jahrhunderts, in erster Linie die Lebensphilosophen, sich veranlasst fühlten, Einspruch gegen die Gleichsetzung von Geist und Seele und vor allem gegen die Degradierung der Seele zu erheben. 

Der Geist geriet sogar in Misskredit und wurde als „Widersacher der Seele“ hingestellt, freilich als ein „Geist“, der auf das rein Rationale eingeschränkt und zudem bezichtigt wurde, er setze die Bedeutung von Gefühl und Intuition und damit die der Seele selbst in unerlaubter Weise herab (vgl. Ludwig Klages: Der Geist als Widersacher der Seele 1929-1932; vgl. auch S. ).

Der Geist ist in der Tat jene Größe, die Erregung und Ergriffenheit auslösen kann. Was aber erregt und ergriffen wird, ist die Seele.

Und die Seele wird vom Geist nicht nur erregt und ergriffen, sondern auch gelenkt. Der Geist ist es, der der Seele Impulse gibt, sich weiterzuentwickeln, er ist es, der in der Seele unablässig wirkt und sie zur Entwicklung drängt. Und er drängt sie nicht nur, er gibt ihr auch ein, was sie tun muss, damit sie sich entwickeln kann, und umreißt oft konkret, wie die anstehenden Entwicklungsschritte zu vollziehen sind.

 

Der grundlegende Unterschied zwischen Geist und Seele ist damit bereits angezeigt: Der Geist ist aktiv, die Seele passiv. 

Der Geist spornt an; die Seele benötigt Impulse, um ihre Passivität zu überwinden und sich vorwärts zu bewegen. Der Geist legt in die Seele die Antriebe zur Individualisierung und zur Entfaltung ihrer Anlagen; die Seele vollzieht, wozu sie gedrängt wird.

Da Geist und Seele nicht einfach identisch sind, wäre es irreführend – wie dies vielfach geschieht –, den Ausdruck „Geistseele“ zu gebrauchen. Dennoch wohnt der Geist in einem bestimmten Sinne der Seele inne.

Denn die permanente Wirkung des Geistes in der Seele führt dazu, dass sie im Laufe ihrer Entwicklung an Geistigkeit ständig zunimmt und schließlich selber geistig wird.

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Die Seele ist ein „Funke“ aus Gottes Seele. Woher kommt aber der Geist in die Seele des Menschen? Und wo liegt die Quelle seiner Geistigkeit?

Der Mensch ist ein Abbild Gottes (Gen 1,27). Seine Seele spiegelt in allen Einzelheiten den Kosmos. Und da der Kosmos in einem gewissen Sinne eine Erscheinungsweise Gottes ist, spiegelt die Seele des Menschen Gottes Wesen.

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Der Göttliche Geist ist schöpferisch. Er tritt als Göttlicher Wille, als Schöpferkraft und als Allmacht Gottes zutage. – Die Göttliche Seele ist aufnehmend-passiv und befähigt zum Erleben und zum Empfangen im Sinne von Befruchtet-Werden. – Die Ordnende Intelligenz ist die gestaltende Geistigkeit, die die „Gedanken“ Gottes verwirklicht. Sie bringt sowohl die Materie in diversen Graden ihrer Stofflichkeit als auch Form und Gestalt hervor. (Form ist die äußere: räumliche und zeitliche Erscheinungsweise, Gestalt die äußere und die innere Struktur eines Dinges.)

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Dieser dreifachen Wirkung entsprechend gibt es sowohl im Kosmos als auch im Menschen drei Wirklichkeitssphären: eine geistige, eine seelische und eine materielle.

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Es gibt nur einen einzigen Geist: den Geist Gottes. Gott ist Geist, an seinem Geist hat jede Wesenheit Anteil.

Anteil haben an Gottes Geist bedeutet: das Göttliche in sich zu haben. Es ist der Göttliche Kern, der in jeder Seele – der Seele einer Wesenheit oder einer Seelengruppe – vorhanden ist und diese überhaupt lebensfähig macht. Da in jeder Seele das Göttliche enthalten ist, ist in ihr auch ein Funken von Gottes Geist vorhanden. Auf diese Weise hat jede Wesenheit Anteil am Geist.

Gott ist allmächtig. Sein Geist ist machtvoll. Er äußert sich als Kraft: als Willenskraft, die erschafft.

Er ist Wille, Entschlusskraft, das schöpferische Wort, der Logos, der Welten entstehen lässt. Er ist aktiv und kreativ.

Der Kern jeglicher Aktivität liegt in der schöpferischen Willenskraft. Es ist die Teilhabe der Seele an Gottes schaffendem Geist, der ihr ermöglicht, selber aktiv und schöpferisch zu werden.

Nicht die Seele ist also aktiv, nicht sie ist schöpferisch, sondern jener Geist in ihr, den Gott gleichsam in sie legt und in ihr wachsen lässt.

Es ist Gottes Geist, der die Seele zur Aktivität antreibt und in ihr den Wunsch erweckt, selber geistig zu werden. 

Der Geist stärkt sie, gibt ihr unentwegt Impulse, motiviert sie und drängt sie somit unablässig zur Weiterentwicklung.

Während der Geist aktiv ist und daher selber spontan Aktionen auslösen kann, ist die Seele – im Gegensatz zum Geist – von Natur aus passiv. 

Sie erzeugt ohne den Impuls des Geistes nichts selber, sie löst keine Aktionen spontan aus. Alles, was in ihr vor sich geht, und alles, was durch sie entsteht, kommt dadurch zustande, dass sie auf Einflüsse re-agiert.

Die Seele ist re-aktiv. Es müssen auf sie von außen her Anstöße einwirken oder in ihr Impulse aufsteigen, damit sie sich regt oder in ihr Veränderungen entstehen.

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Die Dynamik der Seele:

Die Seele ist dem Wasser vergleichbar.

Würden auf eine Wassermenge weder Kräfte von außen noch von innen einwirken, so würde das Wasser – infolge seiner Trägheit – der Schwerkraft der Erde widerstandslos erliegen und in Reglosigkeit verharren.

Nun ist aber das Wasser unentwegt Einflüssen ausgesetzt. Ebenso wirken auf das Meer ununterbrochen Kräfte ein: beispielsweise die von der Erdrotation verursachte Coriolis-Kraft; die Anziehungskraft des Mondes, die Ebbe und Flut hervorruft; die Temperaturschwankungen, die Strömungen bewirken; Bewegungen am Meeresboden (Erdbeben und Vulkanausbrüche); Winde an der Oberfläche. Das Meer aber ist bestrebt, jede dieser Veränderungen auszugleichen und befindet sich daher stets in Bewegung. – Auf dem Festland fließt das Wasser dem Gefälle entsprechend – und der Schwerkraft folgend – ab und strebt schließlich dem Meer zu. Und damit das Wasser nach oben steigt, bedarf es der Sonnenwärme, die es verdunsten lässt. 

So ist es auch mit der Seele. Wirkt nichts auf die Seele ein, so wird ihre naturgegebene Passivität offenbar, die sich nicht selten als Neigung zur Trägheit kundtut. Sie bleibt dann stehen und kann für eine Weile regungslos verharren.

Die Seele muss Impulse erhalten, um – wie das Wasser – in Bewegung zu geraten und in Bewegung zu bleiben. Und sie erhält die nötigen Anstöße: Sie ist unentwegt inneren Impulsen und Einwirkungen von außen ausgesetzt. Denn sie befindet sich in einem energetischen Feld, in welchem unablässig Veränderungen vor sich gehen. In ihr arbeitet ohne Unterlass der Geist, der sie zur Entwicklung drängt und sie unter Spannung setzt. Von außen her strömen dauernd Einwirkungen und Reize auf sie ein, die in ihr ebenfalls Spannungen erzeugen.

Je reifer die Seele wird, umso mehr kann sie sich dem Geist gegenüber öffnen, sich umso leichter von ihm „befruchten“ lassen und ihm einen umso größeren Wirkungsraum geben. So kann der Geist durch die Seele in immer höherem Maße aktiv werden.

Die Seele ist demzufolge nicht einfach passiv. Ihre Passivität ist – so paradox dies auch klingen mag – eine aktive Passivität.

Aktive Passivität bedeutet, dass die Seele – dank ihrer Aufnahme- und Anpassungsfähigkeit sowie unter Einwirkung des Geistes – nicht nur re-aktiv, sondern im Sinne von Selbsttätigkeit auch selber aktiv werden kann. Aufnahme- und anpassungsfähig ist sie infolge ihrer Sensibilität, die durch ihre Passivität bedingt ist. Und kraft ihrer – ermöglichten – Eigenaktivität trägt sie zu ihrer eigenen Entwicklung wie auch zur Entwicklung anderer Seelen wesentlich bei.

Der Geist ist aktiv, die Seele re-aktiv, so erzeugen sie gemeinsam jede Art von Bewegung, jede Veränderung und Wandlung und ermöglichen gemeinsam die Entwicklung.

Die Aktivität des Geistes und die aktive Passivität der Seele stellen die beiden eng zusammengehörenden Triebkräfte für die Dynamik der Seele dar, welche das tragende Element für alle Erscheinungsformen des Lebens – auf Erden wie im Jenseits – ist. Und wie die unablässige Bewegung des Wassers die Antwort auf die Anziehungskraft der Erde ist, so ist die Bewegung der Seele: ihre Entwicklung, die Antwort auf die Anziehungskraft, welche die Liebe Gottes auf seine Geschöpfe ausübt.

Die Seele verdankt die ihr innewohnende Dynamik also letztlich ihrem Streben, dorthin zurückzukehren, von wo sie ausgegangen ist: zu Gott.

Dieses Streben meldet sich in ihr als Drang zur Entwicklung.

Die Seele kann zu Gott allerdings nur dann zurückkehren, wenn sie – in ihrem bescheidenen Rahmen – Gott „ähnlich“ geworden ist. Sie muss „wie Gott“ sein. Gott ist aber – unter seinem ersten Aspekt – Geist. Will die Seele zu Gott gelangen, so muss sie geistig werden.

Der Drang zur Entwicklung äußert sich zugleich als Drang zur Geistigkeit. Der Drang der Seele zur Geistigkeit ist das Streben, an Gott: an dem Einen Geist, immer mehr Anteil zu haben.

Gibt die Seele im Laufe ihrer Entwicklung dem Geist in sich immer mehr Wirkungsraum und entfaltet sie dabei ihre Anlagen, so erlangt auch sie selber immer mehr Geistigkeit.

Usw.